Die fachliche Expertise und die persönlichen Erfahrungen, die unsere Crew-Mitglieder an Bord aufbauen und sammeln, haben das Potential, das Leben wie auch die Karriere nachhaltig zu prägen. Viele ehemalige Crew-Mitglieder haben sich nach ihrer Zeit an Bord eine beeindruckende Karriere an Land aufgebaut: ob als Sternekoch in renommierten Häusern dieser Welt, selbstständig mit eigener Patisserie oder Confiserie, einem eigenen Restaurant oder einem Business fernab der Gastronomie und Hotellerie.
Stefan Wilke blickt als ehemaliger Küchenchef der MS EUROPA und heutiger Küchendirektor im renommierten Hotel The Fontenay in Hamburg auf eine bewegte Zeit zurück, die ihn nicht nur als Koch, sondern auch als Führungskraft und Mensch maßgeblich geprägt hat. In diesem Interview teilt er seine eindrucksvollen Erlebnisse und die Lektionen, die er aus der Seefahrt in sein heutiges Leben mitgenommen hat.
Herr Wilke, Sie haben viele Jahre an Bord der MS EUROPA verbracht. Was genau waren Ihre Tätigkeiten?
S.W.: Meine Reise auf den Sieben Weltmeeren begann im Jahr 2004 in Yangon, dem ehemaligen Burma. Damals bin ich als Stellvertretender Küchenchef an Bord der EUROPA gegangen. Nachdem ich kurze Zeit später einen Zwischenstopp an Land einlegte, um meine Meisterschule in Heidelberg zu machen, kehrte ich in derselben Position zurück und übernahm 2006 schließlich die Position des Küchenchefs. Diese Rolle ermöglichte es mir, den Neubau und die Indienststellung der EUROPA 2 zu leiten und während der Werftzeiten aktiv an der Entwicklung des Schiffes mitzuwirken. Bis 2014 war ich dann weiterhin auf der EUROPA tätig, bevor ich mich entschloss, die Seefahrt hinter mir zu lassen und mich neuen Herausforderungen an Land zu stellen.
Können Sie uns mehr über Ihre beruflichen Anfänge erzählen?
S.W.: Meine Ausbildung habe ich im Hotel Engel in Obertal gemacht, wo ich im Anschluss noch ein weiteres Jahr gearbeitet habe. Danach ging es zur Bundeswehr, dort war ich in der Küche für das Offiziersheim tätig. Nach der Bundeswehr führte mich mein Weg in die Schwarzwaldstube, wo ich unter anderem für Harald Wohlfahrt in der Köhlerstube und später auch im Palazzo in Hamburg arbeitete. Diese dreieinhalb Jahre in der 3-Sterne-Gastronomie haben meine Passion für Perfektion und exzellente Küche stark geprägt. Durch all diese Erfahrungen und im Laufe der Zeit entstand meine Liebe zur See, auch wenn Hamburg selbst nicht direkt am Meer liegt. Über Harald Wohlfahrt kam dann der Kontakt zu Hapag-Lloyd Cruises zustande, und so begann meine Reise auf den Weltmeeren.
Wie war der Wechsel von der 3-Sterne-Gastronomie zur Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff für Sie?
S.W.: Der Wechsel von Harald Wohlfahrt zur Arbeit auf See war eine enorme Umstellung. An Land spielte die Perfektion jedes Tellers die wichtigste Rolle, während an Bord auch die Schnelligkeit im Abendservice entscheidend ist. Ich musste lernen, effizienter zu arbeiten und gleichzeitig den hohen Qualitätsstandard beizubehalten. Es war ein Prozess, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Welche Erfahrungen aus Ihrer Zeit auf See helfen Ihnen heute in Ihrer Arbeit?
S.W.: An Bord ist die Weiterentwicklung eine Herausforderung, da man sieben Tage die Woche im Einsatz ist. Dennoch hatten wir auch außerhalb der Zeit an Bord zahlreiche Fortbildungen, insbesondere im Bereich Führungspersönlichkeit. Wir konnten an Messen, Seminaren und Fortbildungen teilnehmen. Diese Investitionen in meine Entwicklung haben mir sehr geholfen. Natürlich war es nicht immer einfach, das Gelernte, das meist für den landseitigen Betrieb konzipiert war, an Bord umzusetzen. Aber einige Dinge ließen sich gut integrieren. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Coaching zum Thema „Professioneller Umgang mit Personal und Gästen“.
Die wichtigste Lektion jedoch, die ich auf See gelernt habe, ist Flexibilität. Auf einem Kreuzfahrtschiff kann man noch so viel planen, aber letztendlich kommt es oft anders. Diese Fähigkeit, sich schnell an veränderte Umstände anzupassen und trotzdem das Beste aus der Situation zu machen, ist auch an Land von unschätzbarem Wert. Ich habe gelernt, dass man im Alltag manchmal spontan umdenken muss, insbesondere was den Umgang mit Ressourcen betrifft.
Wie hat die Seefahrt Ihr Leben insgesamt geprägt?
S.W.: Die Seefahrt hat mich stark geprägt, sowohl beruflich als auch privat. Sie hat mir nicht nur beruflich Türen geöffnet, sondern auch mein privates Leben beeinflusst – beispielweise habe ich meine Frau an Bord kennengelernt. Durch die Jahre auf See hat sich auch mein Netzwerk stark erweitert, was mir heute zugutekommt. Viele Gäste sprechen mich noch immer auf meine Zeit auf der EUROPA an, und es erfüllt mich mit Stolz, dass mein Name weiterhin mit Hapag-Lloyd Cruises in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig habe ich die Bedeutung von Heimat und Familie neu schätzen gelernt. Es ist ein besonderes Gefühl, nach langen Monaten auf See wieder nach Hause zu kommen und den Zusammenhalt mit Familie und Freunden zu erleben.
Nach Ihrer Zeit auf See sind Sie ins The Fontenay gewechselt. Wie hat sich Ihre Rolle dort entwickelt?
S.W.: Am 1. November 2015 habe ich im The Fontenay als Küchendirektor angefangen. Seit Juni 2024 bin ich auch für die Wirtschaftsdirektion verantwortlich. In dieser Position bin ich nicht nur für alles verantwortlich, was auf den Tellern der Gäste landet, sondern auch für den gesamten F&B-Bereich, vom Wareneinkauf bis zur Personalplanung.
Welche Herausforderungen bringt dies konkret mit sich?
S.W.: Die größte Herausforderung besteht darin, die Balance zwischen hoher Qualität und wirtschaftlicher Effizienz zu finden, insbesondere bei einem Team von über 40 Mitarbeiter:innen in der Küche. Es erfordert viel Organisationstalent und Flexibilität, um sicherzustellen, dass alles reibungslos läuft.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die eine Karriere in der Gastronomie anstreben?
S.W.: Ich empfehle jedem jungen Menschen in der Gastronomie, einmal an Bord eines Kreuzfahrtschiffes zu arbeiten, solange sie noch ungebunden sind. Es gibt keine bessere Möglichkeit, die Gastronomie weltweit kennenzulernen und verschiedene Destinationen zu bereisen. Die Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff ist herausfordernd, aber extrem bereichernd. Die täglichen Herausforderungen, wie spontane Änderungen der Menüs oder das Organisieren und Begleiten von Events wie Poolpartys und Barbecues, haben meine Fähigkeit zur Improvisation geschärft.
Ich rate meinen Auszubildenden immer, diese Erfahrung zu machen – nicht direkt nach der Ausbildung, sondern wenn sie etwas mehr Erfahrung gesammelt haben. Viele meiner Köch:innen sind bereits auf Kreuzfahrtschiffen tätig gewesen, und ich habe einige davon dorthin vermittelt. Gleichzeitig kommen auch Talente vom Schiff zu uns ins The Fontenay. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen, das beiden Seiten zugutekommt.
Das Gespräch mit Stefan Wilke zeigt, wie prägend die Erfahrungen auf See für eine Karriere in der Gastronomie sein können. Flexibilität, Organisation und die Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, sind nur einige der Fähigkeiten, die er in den Jahren auf den Weltmeeren erworben hat und die ihm heute in seiner Rolle als Küchen- und Wirtschaftsdirektor im The Fontenay zugutekommen. Seine Geschichte ist eine inspirierende Reise, die jungen Menschen Mut macht, ihre eigenen beruflichen Horizonte zu erweitern.
Vielen Dank, für diesen umfangreichen und spannenden Einblick, Herr Wilke!